In Zeiten des Wandels dienen längst vergangene Zeiten häufig als Projektionsfläche für jene, die diesen Wandel ablehnen und rückgängig machen wollen. Die Vergangenheit wird zu einer Art Utopie stilisiert, in der vermeintlich verloren gegangene Werte wirksam waren und vor deren Hintergrund die Gegenwart degeneriert und minderwertig erscheinen soll. Dies freilich mit dem Ziel, die gegenwärtige Akteure zu kritisieren und ggf. zu Verhaltensänderungen zu bewegen.
Gegenwärtig begegnen uns immer wieder Meme, in denen eine vermeintlich verloren gegangene Männlichkeit einer vermeintlich verweichlichten Gegenwart gegenübergestellt wird. Die Gegenüberstellung wird durch ein Nebeneinander zweier Bilder erreicht, die teilweise ohne weitere Erklärung auskommen, teilweise aber noch mit explikativen Texten unterlegt sind, wie im folgenden "Männer damals und heute"-Memes:
Der anpackende, nach außen wirkende Mann wird dem um sich selbst besorgten und Schaden an seiner Umwelt vermeidenden Mann gegenübergestellt. Eine weitere Variante des "Männer damals und heute"-Memes stellt die vermeintlich schwindende Männlichkeit in den Kontext der Debatte um Elektromobilität...
... oder stellt ikonisch einen Zusammenhang zwischen dem Verlust an männlich-heroischem Kriegertum und übersteigerter Körperpflege her.
Auch wenn Phänomene wie vegane Handcremes, Elektroroller oder Gesichtsmasken für Männer aktuelle Phänomene sind, so sind die Leitdifferenzen, die diese im Vergleich zu Äxten, Harleys oder Kriegsutensilien zu Insignien des Niedergangs der Männlichkeit machen ganz und gar nicht aktuell. Diese Leitdifferenzen verweisen vielmehr auf langfristig wirkende tiefensemantische Gegensatzpaare, die die soziale Welt überhaupt erst mit sozialer Bedeutung aufladen.
Aufgrund ihrer Langfristigkeit erscheinen sie uns als selbstverständlich oder sogar natürlich gegeben, obwohl sie das Ergebnis vieler kumulierter Kommunikationsakte sind. Sie helfen uns dabei. Zeitphänomene schematisch einzuordnen und strukturieren so unsere Wahrnehmung.
Die Gegenüberstellung von ursprünglich Männlichem und Verweichlichtem ist eine uralte diskurssemantische Grundfigur, die in Umbruchszeiten immer wieder Konjunktur hatte. Die Nachahmung höfischer Sitten durch das Bürgertum kritisierten etwa Daniel Chodowiecki und Christoph Lichtenberg im Göttinger Taschenkalender in einer Serie von Kupferstichen und dazugehörigen Erklärungen mit dem Titel "Natürliche und Affectirte Handlungen des Lebens", von denen im Folgenden das programmatische Kuperstichpaar vorgestellt werden soll.
In den Kupferstichen werden "Natur" und "Affectation" (frei übersetzbar als Künstelei) einander gegenübergestellt. Das natürliche Pärchen erscheint als ein Paar im (oder zumindest nahe am) Naturzustand, während das Gegenbild das Zerrbild höfischen Verhaltens zeigt: mit Drahtgestellen und Kissen aufgetürmte Hochfrisuren, Reifrock und Schnürleib bei der Frau, nutzlose Gehänge und Schnallen beim Mann, eine aus dem Gesellschaftstanz entlehnte Handhaltung und die Fußstellung im Kontrapost - all dies verweist auf unnatürliche Zurichtungen und Disziplinierungen des Körpers, die den Betrachtern des 18. Jahrhunderts als untrügliche Indizien der Nachahmung höfisch-französischer Sitten erschienen. Der Kommentator Christoph Lichtenberg attestierte dem Mann denn auch ein "con amore-Gesichtchen" und eine "Liebevolle Geistes-Kränklichkeit", allesamt Zeichen der Verweichlichung.
Dass Veränderung zum Schlechten und fremde Einflüsse häufig mit einander in Beziehung gesetzt wurden, zeigt ein weiterer Kupferstechich von Christian Gottlieb Geyser, bei dem Alt und Neu in einem Bild zusammengefasst werden:
Im Bild wird ein Deutscher - wie es scheint - nicht ganz freiwillig neu frisiert und eingekleidet. Die abgelegte deutsche Tracht liegt schon neben ihm auf dem Boden, während ihm Rock und Perücke gereicht werden. Wie im "Männer damals und heute"-Mem wird die Veränderung der "Gemüthsart" mittels zeittypischer Accessoires visualisiert. Das tiefensemantische Bewertungsschema bleibt freilich seit 250 Jahren konstant: Kultureller Wandel wird als Verweichlichung, ja Aufgabe der eigenen Identität gedeutet.
Da verwundert es schon, dass es nach 250 Jahren kulturellem Wandel noch immer Männer gibt.
PS: Dass die diskurssemantische Grundfigur sicher noch viel älter als 250 Jahre ist, belegt beispielsweise die Titelkupfer zur "Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen" von 1728.
"Sprich so, dass du niemanden beleidigst, Minderheiten nicht ausgrenzt und Respekt gegenüber allem zeigst, was für andere einen Wert hat." Das ist der kategorische Imperativ der Linken. Um Sprechen als ihrem kategorischen Imperativ gemäß zu ratifizieren, haben Linke den Ausdruck "politisch korrekt" / "politically correct" geprägt, den sie wie ein Gütesiegel verleihen. Umgekehrt verurteilen sie Sprechen, das gegen den Imperativ verstößt, als "politisch inkorrekt" / "politically incorrect". Wenn wir "politisch korrekt" sprechen, dann wird unsere Gesellschaft inklusiver, dann gibt es weniger gruppenbezogene Konflikte und weniger Gewalt. Deshalb sind Linke der Meinung, alle Menschen sollten "politisch korrekt" sprechen. — Wirklich?
Ein Blick in die frühen Verwendungsweisen des Begriffs in den USA und Deutschland erzählt eine ganz andere Geschichte, die auch für die gegenwärtige Bedeutung des Ausdrucks "politischer Korrektheit" hochrelevant ist. Diese Geschichte soll im Folgenden erzählt werden.
Die ersten Belege für den Ausdruck "politically correct" finden sich in kommunistischen, leninistischen, marxistischen und stalinistischen Gruppen in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit ihm wurden abschätzig und ironisch Personen bezeichnet, für die die Parteilinie wichtiger war als die mit dem Sozialismus verfolgten Ideale und die Utopie einer besseren Gesellschaft. In den 70er Jahren wurde der Ausdruck in der New Left, insbesondere auch in der Frauenbewegung und im Black Power Movement verwendet, allerdings meist selbstironisch, um die Gefahren von Orthodoxie und Dogmatismus in den eigenen Reihen zu reflektieren. Der Ausdruck "politically correct" wurde also von den linken Bewegungen in den USA nicht affirmativ sondern nur uneigentlich verwendet. "Politically correct" zu sein war kein positiver Wert; niemand forderte ernsthaft, man möge "politically correct" sein - im Gegenteil.
Eine fundamentale Veränderung des Bedeutungsgehalt des Ausdrucks "politically correct" beginnt in den späten 1980er Jahren. In diesem Kontext nennt die Forschung immer wieder Allan Blooms Buch "The Closing of the American Mind" (1987), das eine Fundamentalkritik der amerikanischen universitären Bildung enthält. In ihm kommen zwar die Ausdrücke "politically correct" oder "political correctness" nicht vor, die in ihnen später verdichteten argumentativen Muster jedoch werden hier ausführlich ausgebreitet. Seine Kritik macht die an den Universitäten gelehrten philosophischen Strömungen und literaturwissenschaftlichen Methoden für einen Mangel an Orientierung und fundamentalen Werten bei den Studierenden verantwortlich, die sie für radikale (linke) Ideologien anfällig machen würden. Zeitgleich begannen Printmedien, den Begriff der "political correctness" zu benutzen, um sich über den konsumkritischen Lebensstil der Neuen Linken lustig zu machen ("politcally correct coffee beans"), und konservative Studierende nutzten ihn als Kampfbegriff gegen multikulturell orientierte Dozierende. Popularisiert wurde der Begriff durch einen Artikel von Richard Bernstein in der New York Times vom 28.10.1990 mit dem Titel "The Rising Hegemony of the Politically Correct", in dem er über eine Konferenz zum Thema "'Political Correctness' and Cultural Studies" an der University of California in Berkeley berichtete und eine konservative Aneignung des Begriffs konstatierte:
Mit dieser Bedeutung machten die Ausdrücke "politically correct" und "political correctness" eine rasante Karriere als politische Schlagwörter. Die Belegzahlen in den Printmedien steigen in den frühen 90er Jahren massiv an und werden zu einem Teil des politischen Wortschatzes der US-Gesellschaft.
Das Schlagwort "political correctness" wurde in den USA also von konservativer Seite geprägt und zwar als politischer Kampfbegriff, der dazu benutzt wurde, universitäre Lehrpläne, in der amerikanischen New Left entwickelte Lebensstile und politische Ziele der Neuen Linken als Einschränkung der Meinungsäußerung zu denunzieren. Von linker Seite gab es keinen positiven Bezug auf "political correctness", schon gar nicht war "political correctness" die Bezeichnung für eine Doktrin oder ein politisches Programm. Die Verwendung des Wortes "Political Correctness" verdichtet also ein Strohmann-Argument, das gegen eine absichtlich verzerrt dargestellte Position des politischen Gegners gerichtet ist.
Am Beispiel von DER SPIEGEL und DIE ZEIT, zwei Publikationsorganen, die nicht im Verdacht stehen, besonders konservativ zu sein, soll im Folgenden gefragt werden, ob es zumindest in Deutschland einen affirmativen Bezug auf "politische Korrektheit" gab.
Die frühesten Belege finden sich im SPIEGEL im Jahr 1991. In einem Artikel mit dem Titel "Inquisition und Zensur" vom 20.5.1991 wird ausführlich über "political correctness" an amerikanischen Universitäten berichtet. Schon die Überschrift lässt erahnen, dass die "politische Korrekten" nicht gut wegkommen werden, und so perspektiviert der gesamte Artikel die Entwicklung ausschließlich vom Standpunkt der vermeintlich Unterdrückten: "Hinter der Bewegung der 'politisch Korrekten' wittern sie nicht ein Mehr an Aufklärung und Toleranz, sondern neue Unduldsamkeit, die heraufziehende Diktatur der Selbstgerechten." Und selbst George Bush wird als Gewährsmann angeführt: "Vor seinem Herzflimmern attackierte Präsident Bush an der Universität von Michigan den Begriff 'politisch korrekt', der zu 'Inquisition, Zensur und Unterdrückung' führe." Zwar wird im Artikel auf eine "Bewegung der 'politisch Korrekten'" Bezug genommen, zu Wort kommen aber lediglich "PC-Gegner", von denen sogar berichtet wird, sie hätten sich in einer Organisation namens "National Association of Scholars" zusammengeschlossen. Personen, die für sich in Anspruch nehmen, für "politische Korrektheit" einzutreten sind Fehlanzeige. Der zweite SPIEGEL-Text aus dem Jahr 1991, in dem auf "politische Korrektheit" Bezug genommen wird, ist ein Artikel vom 23.12.1991 über Henry Miller mit dem Titel "Dunkles Herz des Sexismus". Darin verteidigt die Autorin Miller mit den Worten "Henry ist mißverstanden worden, von Feministinnen wie von Ideologen, denn nach heutigen Maßstäben ist er 'politisch nicht korrekt'. Ich meine, daß man einen Schriftsteller so nicht beurteilen darf." Im Artikel werden Personen, die mangelnde "politische Korrektheit" gegen Henry Miller ins Feld führen, als Ideologen und Tugendwächter charakterisiert. Die Semantik von "politisch korrekt" ist also hier ein ideologisch bedingtes Missverstehen.
In der ZEIT sieht es nicht anders aus. Der erste Beleg für "politisch korrekt" findet sich am 12. Juni 1992 in dem Artikel "Schöne neue Wörter" von Vera Graaf, der Besprechung eines Wörterbuchs der politisch korrekten Sprache. Schon die Anspielung an die deutsche Übersetzung des Huxley-Romans "Brave New World" im Titel zeigt, wohin die Reise geht, nämlich hierhin:
Was die Autorin allerdings zu erwähnen vergisst: Bei dem Buch handelt es sich um eine Satire, nämlich um "The Official Politically Correct Dictionary and Handbook" von Henry Beard und Christopher Cerf, in dem der beschriebene Typus gelungen aufs Korn genommen wird. Stattdessen suggeriert die Autorin, es handle sich bei den genannten sprachreformerischen Wortschöpfungen um ernstgemeinte Vorschläge von akademischen "Politmissionaren" und "aufgeklärten Multikulturalisten". Man kann also festhalten: "Politische Korrektheit" kam als (als solche nicht gekennzeichnete) Satire auf "Politische Korrektheit" in die ZEIT. "Politische Korrektheit" ist auch hier ein Begriff, der dazu diente, vermeintliche Bemühungen um mehr Sprachsensibilität ins Lächerliche zu ziehen.
Das Jahr 1993 ist dann das Jahr, in dem die Bezeichnung "politische Korrektheit" und verwandte Ausdrücke sich im öffentlichen Diskurs durchzusetzen beginnen. Im SPIEGEL:
Und in der ZEIT:
Um zu zeigen, dass die Ausdrücke "politisch korrekt" und "Politische Korrektheit" niemals im Sinn einer positiv besetzten linken Sprachkritik, sondern im Sinn des Schlagworts der amerikanischen Neuen Rechten gebraucht wurden, seien im Folgenden sämtliche Belegstellen aus 1993 angeführt:
Belegstellen in der ZEIT:
So konnte auch August Everding, der umtriebige Intendant am Hof des bayerischen Ministerpräsidenten, endlich | politisch korrekte | Flagge zeigen. | 1993-02-01 | Quelle |
Ich hasse den Konformitätsdruck, der sich heutzutage " | political correctness | " nennt. | 1993-03-01 | Quelle |
Diese Forderung ist vernünftig und richtig und " | politically correct | ", da sind wir uns einig. | 1993-03-01 | Quelle |
Ihren Katalog der modischen " | political correctness | " kennen sie nicht nur auswendig, sie leben ihn auch. | 1993-03-22 | Quelle |
Politisch korrekt | ist es, gegen Neonazis zu sein, gegen die Unterdrückung der Frauen und der Schwarzen und der Indianer und der Schwulen. | 1993-04-12 | Quelle | |
Die | politisch korrekte | Show im Whitney Museum rennt mit Kriegsgeheul offene Türen ein : | 1993-04-12 | Quelle |
"Jede Haltung ist möglich nach diesem Abend - sogar die | politisch korrekte | . | 1993-04-12 | Quelle |
Die | politisch korrekten | , eine Sprach- und Denkpolizei radikaler Minderheiten, kontrollieren nicht nur Vorlesungsverzeichnisse oder Feuilletons - sie beherrschen jetzt eine New Yorker Museumsschau. | 1993-04-12 | Quelle |
Lust, Witz und Ironie sind den | politisch Korrekten | ohnehin fremd. | 1993-04-12 | Quelle |
Die Kampf-Antwort der | politisch Korrekten | : Aufkündigung der ideellen Zugehörigkeit zur amerikanischen Gesellschaft, moralische Rechtfertigung der Gewalt wie etwa der Plünderungen von Los Angeles. | 1993-04-12 | Quelle |
romantische Selbstafrikanisierung - einer der verlogensten Mythen der | politisch Korrekten | . | 1993-04-12 | Quelle |
Vor allem aber: romantische Selbstafrikanisierung - einer der verlogensten Mythen der | politisch Korrekten | . | 1993-04-12 | Quelle |
Politische Korrektheit | ist zur Neusprechfloskel geworden, die in Wahrheit Inkorrektheit bedeutet, eine Liturgie der inhumanen Denk- und Kampfschablonen, des linken Konformitätsdrucks und letztlich der Zensur. | 1993-04-12 | Quelle | |
Politische Korrektheit | schlägt Kapital aus dem schlechten Gewissen des Establishments, und es hat Grund dazu, denn die Verfehlungen lauern überall. | 1993-04-12 | Quelle | |
Die Schau im Whitney Museum zeigt | politische Korrektheit | als einen Diskurs der Fraktionierung. | 1993-04-12 | Quelle |
Politische Korrektheit | ist die Ideologie der gesellschaftlichen Fragmentierung, und sie profitiert von paranoiden Vorstellungs-Systemen. | 1993-04-12 | Quelle | |
" | Politische Korrektheit | ", so der Historiker Arthur Schlesinger, Kennedys liberaler Berater, " droht ein Mittel zur Kontrolle von Curricula und Fakultäten zu werden. | 1993-04-12 | Quelle |
Doch auch diese Arbeit wird schnell von der Penetranz | politischer Korrektheit | eingeholt - durch den Hinweis darauf, man möge sich doch " bitte nicht lustig machen " über den kunstvoll arrangierten Kitsch in der Puertoricaner-Wohnung, der " meist unter vielen Entbehrungen zusammengetragen worden ist ". | 1993-04-12 | Quelle |
SPIEGEL-Reporter Matthias Matussek über die Kultur der " | Politischen Korrektheit | " in den USA. Ein Kampfbegriff der Black-Power-Bewegung aus den sechziger Jahren macht erneut Karriere | 1993-04-12 | Quelle |
Nach den Regeln der | politischen Korrektheit | wird damit jeder, dem die Offensiven schwuler Selbstdarstellung auf die Nerven gehen, zum reaktionären Heterosexisten. | 1993-04-12 | Quelle |
Als ein eigener schwuler Block im traditionellen irischen "St. Patrick's Day"-Umzug in New York von den Organisatoren untersagt wurde, blieb Bürgermeister David Dinkins dem Umzug - aus Gründen der | politischen Korrektheit | - fern. | 1993-04-12 | Quelle |
In Zukunft, erwiderte ein empörter Kritiker, dürfe auch Richard III., aus Gründen der | politischen Korrektheit | , nur noch von Buckligen gespielt werden. | 1993-04-12 | Quelle |
Doch sie sind vor einigen Wochen abmontiert worden - aus Gründen der | politischen Korrektheit | . | 1993-04-12 | Quelle |
Und er würde sich später totlachen über die Begeisterung, mit der der weiße, liberale Mittelstand büßt im Fegefeuer der | politischen Korrektheit | und deren Chiffren zu enträtseln versteht. | 1993-04-12 | Quelle |
Wie verstörend aber für diese Klientel, was sich seit einigen Wochen im "Orpheum"-Theater im East Village Manhattans abspielt: eine Monstertragödie zur | politischen Korrektheit | , seit Monaten ausverkauft | 1993-04-12 | Quelle |
In diesem bitterbösen Theaterthriller führt David Mamet vor, wie der Jargon der | politischen Korrektheit | zur nahezu tödlichen Waffe werden kann. | 1993-04-12 | Quelle |
Er richtet sich an eine neue Klientel, die gelernt hat, jede Äußerung - und erst recht jede Kunstäußerung - auf das abzutasten, was sie " | political correctness | " nennt | 1993-04-12 | Quelle |
Ein Schuß Selbstironie ist dabei und ein wenig modischer Feminismus, der den Glamour-Trip ins | politisch Korrekte | wendet und ihr, etwa bei Marie Claire, den Ruf der "zutiefst emanzipierten Sexbombe" einbringt. | 1993-05-10 | Quelle |
Er liefert eine Vivisektion des verrotteten Nihilismus der Reagan-Jahre und der selbstgerechten, | politisch korrekten | Besserwisserei der neuen Ära. | 1993-05-10 | Quelle |
Ein Stationendrama wie etwa "Groß und klein", das den Szenejargon der | politisch Korrekten | ebenso vorführt wie das heilige Stammeln, die Übersteigung, die Suche nach Erlösung. | 1993-05-10 | Quelle |
Doch es gibt auch Mode, die furchtbar " | politically correct | " ist. | 1995-05-15 | Quelle |
Ein amtlicher Vertreter der " | political correctness | " wird bei der Lektüre der Protokolle aus dem Kreuzeschlagen gar nicht mehr herauskommen. | 1993-05-17 | Quelle |
" | Politically correct | ", im abkürzungswütigen Amerika "PC" genannt, heißt, an den Universitäten alle Anzeichen von verstecktem Rassismus, Sexismus und Klassenvorurteilen aus Sprache und Verhalten zu eliminieren. | 1991-05-20 | Quelle |
Kaum war ihr Werk, das so gar nicht " | politically correct | ", ja geradezu eine Mustersammlung aller möglichen Rassen- und Klassenverachtung ist, in Los Angeles angelaufen, da fielen auch schon Vertreter diverser Randgruppenvereinigungen über sie her : | 1993-05-31 | Quelle |
Sicher, da sind die langweiligen, triumphierenden Kanzelreden der drei großen Religionen | politischer Korrektheit | : schwarze, schwule oder feministische Kämpferromantik. | 1993-06-07 | Quelle |
Nur eine "liebevoll kritische Infragestellung der Haacke-Rechthaberei", sagt der österreichische, nahe Venedig lebende Künstler Peter Friedl, 32. Hans Haackes deutscher Biennale-Beitrag, die sarkastisch-destruktive " Germania"-Installation ( SPIEGEL 24/ 1993 ), sei ihm als " | politisch korrekt | " auf die Nerven gegangen. | 1993-07-05 | Quelle |
Zugunsten krebskranker Kinder hatte Manhattans versnobte Caritas-Boheme 500 Dollar pro Ticket für die Voraufführung des Films "Die Firma" bezahlt; und sich dafür einen Abend erhofft, der Wohltätigkeit und Nervenkitzel | politisch korrekt | kombiniert. | 1993-07-12 | Quelle |
Jamiroquai läßt alle Rüpelhaftigkeiten des Rock'n'Roll vergessen und versucht wohl als erste Pop-Band der Geschichte, die Forderung nach " | political correctness | " zu erfüllen. | 1993-08-09 | Quelle |
Dagobert Lindlau, Buchautor und TV-Journalist, über | Political Correctness | in den Medien | 1993-09-20 | Quelle |
Doch er entgeht den Verlogenheiten des liberalen, | politisch korrekten | Establishments, die jeden bewaffneten Schwarzen oder Latino zum Freiheitskämpfer umlügen. | 1993-10-04 | Quelle |
In Zeiten, da die Werte Ronald Reagans demonstrativ zertrümmert werden sollen, sind sie so glaubwürdig, daß sie als Boten einer neuen, | politisch korrekten | Ära taugen, aber auch amerikanisch genug, um nicht wie eine Radikalenband vom Schlage Nirvanas alles gleich wieder in Frage zu stellen. | 1993-10-11 | Quelle |
Zu besichtigen war ein elegant gebautes, glänzend gespieltes Zwei-Personen-Drama, das sich des in den USA so hoch gehandelten Reizthemas " | political correctness | " bloß bedient, um die modernen Mechanismen der Macht zu entblößen, das Täuschen und Tarnen mit Sprache. | 1993-10-11 | Quelle |
In den Zeiten von " | political correctness | " verändern nicht Taten, sondern Worte die Welt. | 1993-10-11 | Quelle |
Daß ihre Ehrung nun als Fall von " | political correctness | " denunziert wird, ohne Ansehen ihres literarischen Niveaus (...) wird sie wenig überraschen. | 1993-10-11 | Quelle |
"Auf eine Art ist die Serie dennoch | politisch korrekt | : Sie erinnert Amerika an seinen Sexismus und Rassismus und die anderen verdrängten Probleme | 1993-10-18 | Quelle |
"Tragödie plus Gegenwart" ist Judges Interpretation der Beavis- und Butt-Head-Episoden, die das Gegenprogramm nicht nur zu Clintons Propaganda vom besseren Amerika, sondern auch zum | politisch korrekten | Image von MTV sind. | 1993-10-18 | Quelle |
"Ted und ich wollten nicht | politisch korrekt | sein. Wir wollten einfach nur Spaß haben." | 1993-10-25 | Quelle |
Da sieht man, wie sich jählings " | political correctness | " ausbreitet. | 1993-10-25 | Quelle |
Er spielt dieses Fossil, das in Wahrheit lebendiger (weil anfälliger) als all die anderen ist, in der neuen braven Welt der " | political correctness | ". | 1993-10-25 | Quelle |
"Viele trauen sich nicht, zu sagen, daß sie für mich stimmen, weil es | politisch nicht korrekt | ist. | 1993-11-01 | Quelle |
Dieter E. Zimmer hat in der Zeit beklagt, es sei der Altar der PC (" | political correctness | "), der altbornierten politischen Richtigkeiten, auf dem all diese Haßlieblinge des öffentlichen Diskurses unters Messer kämen. | 1993-11-15 | Quelle |
Das Pathos und das Vokabular der " | political correctness | " ist der bevorzugte Dialekt der ganzen Moderne; | 1993-11-15 | Quelle |
Die Künstler, die auf den CDs zu hören sind, nennen sich allerdings "Böhse Onkelz" und gelten als | politisch nicht korrekt | . | 1993-11-15 | Quelle |
Sie nahmen sich vor, ehrlich und | politisch korrekt | Karriere zu machen. | 1993-12-06 | Quelle |
Nichts, schon gar nichts, was nach herrschender Meinung als " | politisch korrekt | " zu gelten hat, ist Limbaugh heilig. | 1993-12-06 | Quelle |
Zwei Produktionen des | politisch korrekten | Linksdogmatikers laufen schon | 1993-12-27 | Quelle |
Und für jene, die zwar auf nichts verzichten aber trotzdem zur | politisch korrekten | Anti-Materialismus-Fraktion gehören wollen, haben die Modeschöpfer längst die perfekte Verkleidung entworfen : | 1993-12-27 | Quelle |
"Der Verdruß über die Parteien trifft sich bei der Generation X mit hohen moralischen Ansprüchen und fundamentalistischen Forderungen nach | politischer Korrektheit | . | 1993-12-27 | Quelle |
Belegstellen in der ZEIT:
Minderheitensprachen – im | politisch korrekten | EG-Jargon: "weniger verbreitete Sprachen" – sind in Mode. | 1993-01-29 | Quelle |
Traurig auch, wie Wolfgang Kohlhaase („Inge, April und Mai“) und Thomas Mitscherlich („Die Denunziantin“) ihre Geschichten und Schauspieler mißhandeln, immer im Dienst der richtigen Gesinnung, der | politischen Korrektheit | , der pädagogischen Pflicht. | 1993-02-26 | Quelle |
Tatsächlich hatte sich Spike Lee jahrelang um die Verfilmung von Malcolms Biographie bemüht, hatte, wenn es sein mußte (und es mußte ja sein!), beispielsweise Norman Jewison aus dem Geschäft gedrängt mit der Begründung, er als Weißer habe kein Recht auf einen Film über Malcolm X, den dürfe nur ein Schwarzer drehen, beispielsweise Spike Lee. Das nennt man neuerdings | "politisch korrekt" | oder kurz und amerikanisch PC. | 1993-03-05 | Quelle |
Gegen die furchtbare und unaufhaltsame Bilder- und Geschichtenlähmung, die das europäische Kino am Ausgang des Jahrhunderts befallen hat, gegen die | politische Korrektheit | und verzagte Biederkeit der amerikanischen independent movies, gegen die Postkarten-Ästhetik und den falschen westlichen Touch der Filme aus der Dritten Welt. | 1993-05-28 | Quelle |
Die Wächter über das, was - nach Vorbild des modernen Meinungsterrors an amerikanischen Universitäten - | politically correct | (p c) und damit zulässig ist und was als unkorrekt dem Meinungsverbot unterhegt, waren unerbittlich. | 1993-06-18 | Quelle |
Wem die Einwanderungswelle aus Asien nicht paßt, trägt seine Ablehnung mit der Wortschöpfung „Hongcouver“ auf dem T-Shirt spazieren. Zumindest in der veröffentlichten Meinung jedoch gilt dieses Gehabe als rassismusverdächtig und keineswegs | politically correct | . | 1993-07-02 | Quelle |
Der Appell seiner vierzig wachsamen Kollegen sei nicht nur völlig disproportioniert (vierzig gegen einen!) und unsympathisch, er sei gefährlich, weil | politically correct | : „Der Appell beweist, daß der Antirassismus wirklich diskutiert werden muß. Er denunziert einen Mann und macht dabei eine Liste mit allen Themen, über die es verboten ist nachzudenken. Er schreibt einem vor, wie man denken muß, um nicht das Spiel der extremen Rechten zu spielen. | 1993-08-06 | Quelle |
Das ist alles | politically correct | , pädagogisch wertvoll und außerdem mündlich überliefert. | 1993-08-27 | Quelle |
Am Rande sei vermerkt, daß mancher Anhänger der | moralisch-politischen Korrektheit | "Obszönität und Gewalt" wegen seines expliziten sadistisch sexuellen Wort- und Bildmaterials im Giftschrank verschließen müßte. | 1993-08-27 | Quelle |
Nachdem auch der Yuppie in Wai-Tung einen kleinen Dämpfer bekommen hat, die Frauen- und die Homosexuellenfrage | politisch korrekt | touchiert wurden und jede Person Gelegenheit hatte, menschliche Größe zu zeigen, ist das mittelständische Modernisierungsopfer vollzogen. Es ist der schiere Kitsch. | 1993-10-15 | Quelle |
Dennoch fügte man ihr das bitterste Unrecht zu, würde ihr Werk in die Nische der "schwarzen Literatur" gepfercht – falls sie nicht nur einer Theorie der Verlegenheit und der Notwehr entspricht: Produkt eines negativen Rassismus, der unter der ideologischen Standarte | "politischer Korrektheit" | der Gesellschaft Amerikas einen neuen und grundgefährlichen Separatismus aufzuzwingen versucht. | 1993-10-15 | Quelle |
Die Suche nach neuen Gewißheiten wird jedenfalls unfruchtbar bleiben, wenn "nichts in Frage gestellt werden darf, wenn also nach dem Muster der | political correctness | vorab Denkverbote erteilt werden, statt daß die Denkergebnisse anschließend kritisiert werden. | 1993-10-15 | Quelle |
durch Eltern, durch Schulen und Sozialpädagogik - und dadurch natürlich, daß die Medien nur die jeweils | politisch korrekten | Meinungen verbreiten (Denn einerseits bekennt sich die PC routinemäßig zum mündigen Bürger, der sich selber sein Urteil bildet; andererseits traut sie dieser Mündigkeit nicht über den Weg.) | 1993-10-22 | Quelle |
Gesagt und am besten auch gedacht werden dürfe nur noch, was pc sei, | politically correct | . | 1993-10-22 | Quelle |
Die PC ist unbarmherzig dichotomisch: Was nicht | politisch korrekt | ist, ist eben unkorrekt. Grauzonen des Zweifels räumt sie nicht ein, Zickzackprofile gehen über ihren Horizont: Wer das Lager der PC in einem Punkt verläßt, wird sofort in das des Feindes eingewiesen. | 1993-10-22 | Quelle |
Andreottis Wort vom Pangermanismus löste einen Aufschrei aus, ähnlich Maggie Thatchers Warnungen vor Deutschlands Größe. Das war nicht | politically correct | . | 1993-10-29 | Quelle |
Aber Dieter E. Zimmer erhebt seinen Vorwurf, wenn ich ihn recht verstanden habe, ja auch weniger gegen Maßnahmen der staatlichen Verwaltung oder gegen Erscheinungen im akademischen Milieu als vielmehr gegen die | political correctness | an sich [...]. | 1993-10-29 | Quelle |
Für ihn ist multikulturelle Vielheit nicht ein innenpolitischer Wert, nicht die | politisch korrekte | Gesinnung, sondern eine Überlebensfrage Europas. | 1993-11-19 | Quelle |
Welches nämlich nicht | politisch korrekte | Verklemmung ist, sondern das schiere Leben in lauter Unvereinbarkeiten. | 1993-11-26 | Quelle |
Frei von Schuld - weder Vichy Franzose noch Hitler-Deutscher - erlaubt sich Tomi Ungerer noch heute Scherze , die den | politisch korrekten | Geschmack verletzen | 1993-12-03 | Quelle |
Die Belegstellen zeigen, dass "politische Korrektheit" assoziiert ist mit Langweiligem und Biederem, mit Humorlosigkeit und Ironieunfähigkeit, soweit es um Kunst und Kultur geht. Im Politischen wird sie als "Ideologie", "Fundemantalismus", "Orthodoxie", als "Verlogenheit" und "Besserwisserei" bezeichnet, ja als "Faschismus" und als "Waffe" im Meinungskampf. Die Belegstellen zeigen zudem: Es gibt selbst in den linksliberalen Publikationsorganen niemanden, der "politische Korrektheit" fordert; niemanden, der "politische Korrektheit" lobt oder verteidigt. Interessantes Faktum am Rand: Der Autor, der im SPIEGEL die meisten Belege beigesteuert hat, ist Matthias Matussek (besonders hier, aber auch hier, hier und hier). An der Prägung des Begriffs der "politischen Korrektheit" im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik wirkten also Personen maßgeblich mit, die nicht gerade im Verdacht stehen, "linke" Sprachkritik für eine legitime Forderung zu halten.
"Politische Korrektheit" kam demnach als politisches Schlagwort von Konservativen und vor allem der Neuen Rechten aus Amerika nach Deutschland. Dieses Schlagwort verdichtete und verdichtet noch heute ein Strohpuppen-Argument, ein Argument, das ein Anliegen des politischen Gegners so verzerrt, dass es per se als unsinnig oder illegitim erscheint. Dieses Argument lautet: "Politisch korrekt" ist nur in politischer Hinsicht korrekt, in anderer Hinsicht aber falsch. Politische Rücksichtnahme verbiete es vielmehr, die Wahrheit zu sagen, die Dinge zu benennen, wie sie wirklich sind. Wer also die Wahrheit sagen möchte, der ist gezwungen, sich "politisch inkorrekt" auszudrücken. Schuld daran, dass es "politische Korrektheit" gibt, haben "Linke", "Linksdogmatiker", "radikale Minderheiten", "pseudoliberale akademische Eliten", das "publizistische Establishment" oder die "Systempresse" - ganz nach Belieben. Ihren Ursprung hat die "politische Korrektheit" in den 1960er Jahren in Amerika, wo Minderheiten für sich erstmals das Recht in Anspruch nahmen, einer ganzen Gesellschaft vorzuschreiben, wie über sie geredet werden soll. Mit den Neuen Sozialen Bewegungen kam die Idee der "politischen Korrektheit" nach Deutschland und wirkt wie ein Gift lähmend auf den politischen Diskurs.
Wer etwas als "politisch korrekt" bezeichnet oder über "politische Korrektheit" spricht, der sollte sich dieser Begriffsgeschichte und der Bedeutung von "politischer Korrektheit" bewusst sein. Der sollte sich klar darüber sein, dass er damit das Strohpuppenargument aufruft und letztlich eine Bewertung vornimmt: Was als "politisch korrekt" bezeichnet wird, kann nichts Gutes sein.
Damit es keine Missverständnisse gibt: Selbstverständlich gibt es Sprachkritik und Forderungen nach mehr Sprachsensibilität von "Linken" wie von "Rechten". Das ist Teil des politischen Diskurses. Das einseitige Framing "linker Sprachkritik" als "politische Korrektheit" ist allerdings vor dem Hintergrund der Begriffsgeschichte fragwürdig.
Welche diskursive Funktion der Begriff hat, analysierte Benedikt Erenz in einem Artikel in der ZEIT mit dem Titel "Die tausend Augen des Doktor PC" schon 1993 sehr hellsichtig:
- Berman, Paul (ed.) (1992): Debating P.C.: the controversy over political correctness on college campuses. New York: Dell. (besonders die Einleitung von Berman: "The Debate and Its Origins", 1–26)
- Elsner-Petri, Sabine (2016): Political Correctness. In: Kathrin Fahlenbrach / Martin Klimke / Joachim Scharloth (eds.): Protest Cultures. A Companion. New York/Oxford: Berghahn Books. S. 537-546.
- Erd, Marc Fabian (2004): Die Legende von der Politischen Korrektheit. Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos. Bielefeld: Transcript.
- Hildebrandt, Mathias (2005): Multikulturalismus und Political Correctness in den USA. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Friederike Werner von ZEIT Online hat mich eingeladen, mir ein Wissensquiz zu sprachlichen Strategien der Ausgrenzung und Herabsetzung auszudenken. Das habe ich sehr gerne gemacht. Hier finden sich Erläuterungen zu den Fragen und Antworten.
- mit ihr macht man wahre oder falsche Aussagen über die Welt
- Sprache ist ein Medium, in dem wir Wirklichkeit herstellen
- Sprache ist eine Menge von Wörtern und Verknüpfungsregeln
"Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort" - an solchen Sätzen sieht man, dass Sprache nicht nur dafür da ist, Dinge oder Sachverhalte zu beschreiben. Indem eine Person diesen Satz äußert, tut sie etwas. Sie setzt ihre Ehre dafür ein, Glaubwürdigkeit zu erlangen. Aber auch banale Sätze, die aussehen, als würden wir mit ihnen nur etwas beschrieben, sind gleichzeitig Handlungen. Wenn ich sage "Heute regnet es", dann kann das eine Aufforderung sein, einen Schirm mitzunehmen.
Wenn wir sprechen, dann beschreiben und handeln wir immer zugleich. Wenn eine Politikerin sagt: "Deutschland ist ein Einwanderungsland" dann ist das einerseits eine Beschreibung, andererseits aber auch eine sprachliche Konstruktion der Wirklichkeit, aus der sich beispielsweise Forderungen nach einem Einwanderungsgesetz ableiten lassen.
In der Politik geht es darum, Wirklichkeit im Medium der Sprache so zu konstruieren, dass das eigene politische Programm möglichst plausibel, ja zwingend erscheint.
- Die eigentliche Bedeutung steht im Wörterbuch.
- Nein. Die Bedeutung eines Wortes hängt vom Gebrauch ab.
- Ja. Die Bedeutung ergibt sich aus den Strukturen der Sprache.
Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft sind sich heute einig, dass Sprache und Wirklichkeit nicht in einem ontologischen Verhältnis stehen. Sprache ist also nicht aus den Dingen motiviert und bildet nicht die Wirklichkeit ab. Es gibt daher auch keine richtige oder falsche Bedeutung eines Wortes. Vielmehr geht man davon aus, dass Wörter dadurch, dass sie immer wieder in ähnlichen Kontexten eingesetzt werden, typische Verwendungsweisen haben. Aus diesen Verwendungsweisen lassen sich dann Bedeutungsbeschreibungen ableiten. In der heutigen Lexikographie, also bei der Arbeit an Wörterbüchern, werden große Textkorpora benutzt, um solche typischen Verwendungsweisen zu identifizieren.
Wenn man ein Wort 'falsch' gebraucht, dann heißt das normalerweise, dass man es in den Augen der anderen Mitglieder einer Sprachgemeinschaft nicht so verwendet, wie es üblicherweise verwendet wird. Wenn Frauke Petry sagt, "völkisch" sei nur "ein zugehöriges Attribut" zum Wort "Volk", dann entspricht dies für die meisten Sprecherinnen und Sprecher nicht den Verwendungsweisen, die sie gewöhnt sind.
- provoziert Widerspruch und bleibt so im Gedächtnis haften
- konstruiert den Sachverhalt so, dass man dagegen sein muss
- stellt einen Sachverhalt objektiv richtig dar
Beim Wort "Überfremdung" sorgt der Präfix "über" dafür, dass der Sachverhalt schon per se als schädliches Zuviel konstruiert wird. Analog zu "überfordert", "überlastet", "überspannt", "überarbeitet" insinuiert der Ausdruck, dass zu viele Fremde im Land sind und dass dies schädlich ist. Selbstverständlich sind alle Parteien und mit ihnen auch die Bürgerinnen und Bürger gegen "Überregulierung", "Überreglementierung" und "Überschuldung". Ausdrücke mit "Über-" verdecken, dass es durchaus strittig sein kann, ob unsere Gesetze und Verordnungen unser Zusammenleben und Wirtschaften in sinnvoller Weise regulieren oder tatsächlich "überregulieren".
- das, wozu ein Wort auffordert
- die Bedeutung, die im Wörterbuch steht
- die Emotionen, die der Ausdruck transportiert
Die Sprache-in-der-Politik-Forschung unterscheidet drei Bedeutungsdimensionen: Den deskriptiven Bedeutungsaspekt, also die inhaltlichen Merkmale, die an einem Sachverhalt durch die Bezeichnung hervorgehoben werden, den deontischen Bedeutungsaspekt, die Bewertung die die Verwendung eines Ausdrucks transportiert und ihre normative Dimension, sowie den konnotativen Bedeutungsaspekt, also Assoziationen und Emotionen, die mit der Verwendung eines Ausdrucks verbunden sind.
- Die Flüchtlingskrise hat andere Ursachen als angenommen.
- Flüchtlinge sind eine Bedrohung. Wehrt euch gegen sie!
- Es sind Oxymora, die zum Nachdenken anregen sollen.
Die deontische Bedeutungsdimension dominiert bei den Ausdrücken "Migrationswaffe" und "Flüchtlingsinvasion", was sich den Metaphern aus dem Wortfeld Krieg verdankt.
- Dadurch, dass sie von Ulrike Meinhof gesagt wurde.
- Die radikale Verkürzung erzeugt Evidenz.
- Durch die normative Definition, was ein Mensch ist.
Man kann einen Begriff wie "Mensch" stark normativ aufladen. Man kann Sätze sagen wie "Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch". Wenn ich mir einem solchen Satz den Anspruch verknüpfe, ausnahmslos alle Referenzobjekte zu erfassen, dann schließen ich all jene sonst unter die Bezeichnung gefassten Referenzobjekte aus, die den normativen Ansprüchen nicht genügen. Reserviert man die Bezeichnung "Mensch" beispielsweise ausschließlich für jene, die sich nicht zu Knechten der von ihr verhassten Ordnung gemacht haben kann man problemlos alle anderen als "Typen" oder "Schweine" bezeichnen.
- CDU
- SPD
- Bündnis 90 / Die Grünen
- DIE LINKE
- AfD
- FDP
Die AfD thematisiert am häufigsten die Ausdrucks- oder Inhaltsseite von Bezeichnungen, indem sie sich durch Anführungszeichen von ihnen distanziert ("Flüchtling") oder ein "sogenannt" davorsetzt (sogeannter Experte). Das zeigt die folgende selbst durchgeführte Analyse zu Pressemitteilungen der Bundesparteien.

Auch in meiner Studie zum Sprachgebrauch der AfD während des Landtagswahlkamps in Rheinland-Pfalz haben sich diese Ergebnisse bestätigt.
- die 68er-Bewegung, die Schwulen- und Frauenbewegung
- die Grünen mit ihren Leitfäden zur gendergerechten Sprache
- die Neue Rechte, um sich gegen Kritik zu immunisieren
Die Begriffsgeschichte der "Politischen Korrektheit" in Deutschland habe ich in einem längeren Artikel auf diesem Blog dargestellt. Wer sich noch genauer informieren will, dem empfehle ich die dort genannte Forschungsliteratur. Christian Staas hat kürzlich in der ZEIT noch intensiver recherchiert.
- Überfremdung
- ausländerfrei
- Umvolkung
Die Unwörter des Jahres kann man in der Wikipedia am bequemsten Nachlesen. In der ersten Fassung des Quiz war noch "Negativzuwanderung" als Kandidat vorgesehen, was Unwort des Jahres in Österreich war und an den von der AfD neuerlich ins Spiel gebrachte Schlagwort der "Minuszuwanderung" erinnert.
- "Soldaten sind Mörder!"
- "Nordafrikaner strahlen eine Grundaggressivität aus!"
- "Arschlöchern wie dir sollte man die Fresse einschlagen!"
Die Antwort fällt leicht, wenn man die in der nächsten Frage genannten definitorischen Aspekte von "Hassrede" anwendet.
- der Äußernde empfindet Hass auf eine Gruppe von Menschen
- Personen werden als Vertreter einer Gruppe adressiert
- Personen werden negative Eigenschaften zugeschrieben
- Behauptung, negative Merkmale seien natürlich und universell
Im Unterschied zu anderen Formen der Hearbwürdigung liegt Hate Speech dann vor, wenn die Herabwürdigung ihre herabwürdigende Kraft daraus bezieht, dass eine Person als Vertreterin einer Gruppe adressiert wird und ihr negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die dieser Gruppe vermeintlich kollektiv, universell und unveränderbar zukommen. Hassen müssen die Beleidiger ihre Adressatinnen und Adressaten nicht, obwohl sie es oft tun. Eine etwas ausführlichere Erklärung habe ich an anderer Stelle ins Blog geschrieben.
- Beleidigung
- Üble Nachrede
- Verleumdung
Behauptet man Dinge, die man nicht man nicht beweisen kann, die aber zugleich geeignet sind, das Objekt der Äußerung verächtlich zu machen oder in den Augen anderer herabzuwürdigen, dann betreibt man üble Nachrede. Die Verleumdung ist dagegen ein Äußern oder Verbreiten von Aussagen, die unwahr sind und die von dem Äußernden wider besseres Wissen verbreitet werden. Eine etwas ausführlichere Erklärung mit Literaturhinweisen findet sich auf dieser Seite.